Lebensziele, Pläne und umgefallene Bäume

Diesen Morgen war so viel Energie da, ich spürte den Bewegungsdrang. Der Blick aus dem Fenster verriet, es regnet ein wenig, aber die Wolken teilen sich freundlich für den ein oder anderen Sonnenstrahl. Ich musste raus und rauf auf die Alm, in den nassen, duftenden Wald. Die Schuhe trage ich erstmalig, sie wurden mir weitergegeben. So ein Glück, hatten meine alten nach vielen treuen Jahren und Höhenmetern ihre Sohle diesen Sommer am Berg eingebüßt.

Wo genau der Wanderweg heute entlang führt, weiß ich nicht. Ein wenig Ortskenntnis ist vorhanden und den Rest darf die Gratis-Version der App für mich erledigen. Traurig, dass meine Kenntnis des Wegenetzes so gering ist, wohne ich doch sein eineinhalb Jahren am Fuße des städtischen Hausberges. Motiviert und gut ausgestattet, trete ich dennoch die Wanderung an. Genau genommen ist es keine Wanderung, eher ein „Auspowern“. Aufgestaute Energie möchte raus und in Sport und Bewegung umgewandelt werden. Nach kurzer Zeit wird der Weg matschig und nass. Es liegen bereits erste Bäume quer. Diesen Sommer gab es einen kurzen und starken Sturm. Ich war auf Urlaub und hatte es nicht miterlebt, so vergaß ich das Ausmaß der Schäden.

Erstmal lagen zwei, drei imposante Stämme da. Die Baumkronen hatten sich in anderen verheddert. Fußspuren auf dem Boden zeugten davon, dass andere vor mir hier durchgeklettert sind. Ich steige über den ersten Stamm, ducke mich unter den nächsten, bleibe mit dem Rucksack kurz hängen. Eine wohlige Dankbarkeit über die gefundene Balance durch die Yogapraxis steigt auf, als ich mich hier durchnavigiere. Wie lange das wohl noch so geht? Ich nehme es mit Humor und der richtigen Brise Entdeckergeist. Ein wenig gefährlich fühlt es sich an. Ob weitere Bäume angeknackst sind und ebenso zu Boden fallen? Hoffentlich ist das Glück auf meiner Seite, ich suche weiter einen adäquaten Weg. Das Telefon brummt, die Nachricht einer Freundin leuchtet auf. Ich setze eine kurze Meldung zum Abenteuer ab - zu meinem Ausflug „bergauf durch umgefallene Bäume, zickzack im Wald leicht abseits des normalen Pfades – ungewiss wie es genau weitergeht“. „Wie metaphorisch“, füge ich selbstironisch hinzu. Sie antwortet, es dauere manchmal ein wenig, bis alle umgefallenen Bäume im Leben wieder aufgerichtet werden.

Als ich einen Gutteil der individuell begehbaren Strecke absolviert habe, steht ein verkehrtes Schild an der Forststraße für Wanderer, die vom Berg ins Tal gehen. „Forstliches Sperrgebiet, begehen verboten“, steht da. Lieben Dank auch, dieses Schild wäre auch am unteren Ende des Weges durchaus praktisch gewesen. Hätte ich es auch ernst genommen? Die surrenden Sägen der Waldarbeiter in einiger Entfernung bejahen diesen Gedanken prompt.

Wie es nun weitergeht, ich sehe die frei gewordene Forststraße als langweilig an und entschließe mich, für einen parallellaufenden Waldweg. Der Waldweg endet in einer von frischen Traktorspuren gesäumten und sehr matschigen, steilen Strecke ohne genauen Verlauf. Wieder muss ich schmunzeln und trete euphorisch mit den neuen Schuhen in den Matsch. „Hupf in Gatsch“, war doch die Devise, die man mir zuteilwerden ließ als Heilungsprozess für meinen Perfektionismus. Mutig rutsche ich bergwärts. Noch ein paar Meter und es müsste doch wieder eine offizielle Gabelung geben. Nein tut es nicht. Ich finde mich im Steilhang mitten im Wald wieder und der Traktorweg ist auch zu Ende. Weiter unten erspähe ich erstmals andere Wanderer. Wenigstens bin ich nicht gänzlich allein hier, das gibt mir Sicherheit. Es war schon sehr wunderlich, sind hier doch regulär sehr viele Menschen unterwegs.

Mein Blick wandert umher, kurz nach oben, ich rutsche ab. Fokus und Konzentration auf den Waldboden ist gefragt, um ein stabiles Vorwärtskommen zu ermöglichen. Das Thema der Woche kommt mir unter: Aktive Lebens- und Jahresplanung. Wo siehst du dich in 3 Jahren? Was sind deine kurzfristigen und was deine langfristigen Ziele? Dies und ähnliches war das brisante Thema der Woche und es ist Zeit ein Jahresresümee zu ziehen, ein neues Visionboard zu kreieren und das kommende Lebens-Jahr wieder bewusst auszurichten. Ja, in der Yoga- und Achtsamkeitslehre lebt man im Hier und Jetzt, es gibt kein Gestern und kein Morgen und Zeit ist eine Illusion. Das weiß mein Bankkonto aber genauso wenig, wie das System tickt. Um also das irdische Leben auch zu gestalten und nicht im Wald voll umgefallener Bäume herumzuirren, bedarf es etwas konkreter Innenschau und Ausrichtung. Er ist schon fast reif für eine Präsentation, dieser Ausflug.

Ob ich ein Ziel habe? Ja, mehrere. In diesem Fall: das Gasthaus erreichen und gut essen. Das Gipfelkreuz erstrebe ich an diesem Tag nicht, da es regnet und mir kalt geworden ist. Mein Ego braucht niemandem ein Foto dessen zu schicken, lieber begebe ich mich ins Trockene. Darüber hinaus möchte ich aus diesem Wirrwarr an endenden und weiterführenden Forststraßen, offiziellen und gesperrten Wegen herauskommen. So oder so bahne ich mir meinen Weg mit Erfolg. Manchmal wähle ich freiwillig jenen, mit den größten Hürden. Aus vermeintlicher Sturheit, aus purem Optimismus oder einem Hauch Naivität. Es ist immer gespickt von kindlicher Abenteuerlust und ein bisschen Risiko. Warum die freie Straße wählen ganz ohne Hindernis, das kann ja jeder. Ist es auch ein wenig Eitelkeit und Selbstbeweihräucherung, dieses „ich kann einen genialeren, spannenderen Weg finden“? Hätte ich den einfachen Weg gewählt, wäre weniger Energie in die Basisarbeit geflossen. Ich hätte gefahrlos einen Schritt vor den nächsten gesetzt und wäre im Zeitplan geblieben. Meine Seele, das Kind in mir, die Abenteurerin in mir, der kleine Rebell hatte aber anderes vor. Der Weg abseits der Wege wurde eingeschlagen und das Ziel dennoch erreicht. Die zu erzählende Geschichte ist auch authentischer und spannender als eine aalglatte Wanderung.

Oben angekommen, traf ich gleich drei liebe Wanderer und Pärchen, mit denen sich wunderbare Gespräche ergaben und sogar spontane neue Treffen in der Folgewoche für eine schöne Freizeitgestaltung. Es war eine Freude sich auszutauschen. Ich bekam sehr liebe Tischnachbarn und durfte am Ende sogar mit guten Bekannten mit dem Auto die Talfahrt antreten und mir den wieder eintretenden Regen am Rückweg ersparen. Für heute war es genug Abenteuer und die ein oder andere Lektion fürs Leben.

Welches Fazit wäre zu ziehen? Das Leben ist keine Gerade, aber du hast an jeder Gabelung die Möglichkeit zu entscheiden, wie viel Kraft und Eigeninitiative du hineinlegst. Wenn sich eine angenehme Option auftut, darfst du diese auch mit Dank annehmen und der Zeitplan ist wieder eingeholt 😊.

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